Die Erinnerung ist wie das Wasser

Kaufmännische Schulen besuchen die Gedenkstätten in Auschwitz

Die Warnung „Es ist geschehen. Also kann es wieder geschehen“ des Auschwitz-Überlebenden Primo Levi ist eine unmittelbare Aufforderung sich der Vergangenheit zustellen. Zusammen mit den Lehrkräften Anett Runde, Klaus Beermann und Reinhold Berg führten die Medizinischen Fachangestellten der Kaufmännischen Schulen das Bildungsgangprojekt „Medizin im III: Reich“ in Auschwitz und Krakau durch. In einem persönlichen Erinnerungsbuch konnten die Teilnehmerinnen ihre Erinnerungen und Gedanken über diese Fahrt niederschreiben. Als Anregung diente dazu die Aussage von Noah Flug:

Die Erinnerung ist wie das Wasser: Sie ist lebens­notwendig und sie sucht sich ihre eigenen Wege in neue Räume und zu anderen Menschen. Sie ist immer konkret: Sie hat Gesichter vor Augen, und Orte, Gerüche und Geräusche. Sie hat kein Verfallsdatum und sie ist nicht per Beschluss für bearbeitet oder für beendet zu erklären.

Im Unterricht hatten sich die Schülerinnen mit verschiedenen Täter- und Opferperspektiven beschäftigt. Insbesondere auch mit den Ärzten, die Auschwitz „praktizierten“: Clauberg, Wirtz, Schumann und Mengele. In dem Workshop zu den pseudomedizinischen Experimenten in Auschwitz, erfuhren die Teilnehmerinnen den menschenverachtenden Umgang mit den Opfern im Lager und hier speziell im sogenannten Frauenblock 10 oder auch im Häftlingskrankenbau und weiteren Lagerabschnitten in Birkenau. Die wenigsten Opfer überlebten die Torturen, wie überhaupt nur eine geringe Zahl am Ende des Krieges die Lager überlebt hatten. Diese waren und sind für ihr gesamtes Leben gezeichnet.
Wie sah das Leben vor der deutschen Besatzung in Auschwitz aus? Mit dem Besuch des Jüdischen Museums und der Synagoge vor Ort, wurde die Zeit sehr eindrücklich vermittelt. Mehr als die Hälfte der Einwohner waren damals Juden, heute leben keine Juden mehr in Auschwitz.
Am späteren Nachmittag begann dann die mehrstündige Studienführung im Stammlager und anschließend in Auschwitz-Birkenau, die die Gruppe mit den damals geschehenen Ereignissen konfrontierte. Der Text von Noah Flug, das Verweilen am Denkmal in Birkenau und ein Moment der Stille bildeten den Abschluss der Führung.
Die abendliche Reflexionsrunde zeigte wie Noah Flug Recht haben sollte und die Erinnerung eigene Wege zu anderen Menschen sucht und findet!
Auch für den international bekannte Maler Gerhard Richter ist die Erinnerung an den Holocaust sehr wichtig. Am nächsten Morgen besuchte die Gruppe das von dem Künstler entworfene Ausstellungshaus. Hier sind seine vier großformatigen, abstrakten Gemälde, der Birkenau-Zyklus, zu sehen. Richter hat dabei die einzigen vier, von Häftlingen unter Einsatz des Lebens gemachten, Fotografien verwendet. Diese gelten als die einzigen fotografischen Dokumente, die die Ermordung und Verbrennung der Leichen und damit das Geschehene dokumentieren.
Mit dem Zug ging es dann weiter nach Krakau. Die jüdische Geschichte der Stadt, die sehenswerte Altstadt mit der Marienkirche und dem Wawel sowie der Stadtteil Kazimierz waren zu erkunden. Auch zahlreiche Drehorte aus dem bekannten Film Schindlers Liste, wurden aufgesucht. Der Besuch des Schindler Museum ließ die Zeit der deutschen Besatzung und deren negativen Auswirkungen für die polnische Bevölkerung in Krakau sichtbar werden.

Am nächsten Tag, spät abends, erreichte der Zug wieder Ibbenbüren. Der Abend zuvor gehörte dem Austausch der gemachten Erfahrungen. Ein jüdisches Restaurant mit einem Klezmerkonzert war hier die richtige Adresse. Eine Schülerin schrieb zu der Fahrt „Die Erfahrungen die wir hier… gemacht haben, werden mir ein Leben lang im Gedächtnis bleiben“, eine andere „Ich konnte sehr viel mitnehmen aus dieser Zeit und werde dies auch Familie und Freunden weitergeben.“ Hier zeigt sich was Noah Flug meinte.
Heute gibt nur noch wenige Lagerüberlebende, die über ihr Leben während des Nationalsozialismus berichten können. In Zusammenarbeit mit dem Maximilian Kolbe-Werk planen die Religionslehrkräfte der Kaufmännischen Schulen das Zeitzeugenprojekt „Fragt uns, wir sind die letzten…….“. In diesem zum wiederholten Male durchgeführten Projekt, erfahren die Zuhörer welche Verbrechen den Zeitzeugen während der NS-Diktatur angetan worden sind.

Das Lagertor in Auschwitz mit der zynischen Schrift „Arbeit macht frei“      © Berg

Schreibtisch Oskar Schindler im Schindler Museum     ©Berg